MARKE STEINER

THE REAL ESTATE BRAND BLOG

Harald Steiner

CEO / European Real Estate Brand Institute

#3

Warum es nicht reicht, Krisen abprallen zu lassen

Ein kleines Experiment: Schließen Sie Ihre Augen (bitte erst am Ende dieses Satzes), imaginieren Sie eine vehemente persönliche und/oder berufliche Krise und lassen Sie danach vor Ihrem geistigen Auge eine bildhafte Wunschvorstellung entstehen, wer oder was Sie gerne in dieser schwierigen Krisensituation wären.

Haben Sie sich zum „Fels in der Brandung“ verwandelt? Wenn ja, dann gehören Sie zur relativen Mehrheit jener 1000 Topmanager aus der D-A-CH-Region, denen bei einer Umfrage im Rahmen einer Psychologie-Studie diese Metapher „erschienen“ ist. Das Bild ist ja denkbar verlockend. Eine unbarmherzige Außenwelt mit tobendem Sturm und bedrohlich aufbrausenden  Wassermassen – und Sie stehen inmitten des Chaos wie ein starker, unerschütterlicher Fels, an dem sich die Brandung abarbeitet, ohne dem Stein etwas anhaben zu können. Der Fels steht für Stärke, Ruhe und ewige Robustheit, die Wellen prallen daran ab. Abprallen – der Lateiner sagt dazu „resilire“.

Der Fels als halbe Wahrheit

Ihr Unterbewusstsein legt Ihnen also Resilienz nahe, jene in Corona-Zeiten neumodisch aufpoppenden Begrifflichkeit, die in Wahrheit schon in den 1950er Jahren in die Psychologie eingeführt wurde. Verstanden wird darunter zunächst psychische Widerstandskraft, sprich die Fähigkeit, schwierige Situationen ohne anhaltende Beeinträchtigung zu überstehen. Aber reicht das? Genügt es, die Stellung unveränderlich zu bewahren, schadlos zu bleiben und nach der Krise der Selbe zu sein wie davor? Bei mir löst diese Vorstellung eher das Gefühl aus, wertvolle Zeit verloren zu haben, die zu weit mehr taugt als zur Versteinerung in Felsform. Resilienz als bloße Kompetenz des Widerstands zu verstehen, greift mir entschieden zu kurz. Und es ist bei näherer Betrachtung der Definition nur die halbe Wahrheit. Resilienz steht nämlich auch für den Rückgriff auf Ressourcen, um Krisenbewältigung als Anlass für Entwicklungen zu nutzen. Wer sich als resilient erweisen will, braucht demnach zum einen Ressourcen und zum anderen eine Bewältigungsstrategie – und wer letztere noch nicht hat, dem bietet die aktuelle Krise eine unbezahlbare Chance, sie für die Zukunft zu entwickeln.

YNWA – You’ll Never Walk Alone

Eine ideale Resilienz-Strategie besteht darin, nicht nur eine robuste, sondern auch eine an Stressfaktoren adaptierte, agile Haltung einzunehmen. Symbolisiert werden Haltungen durch starke Marken. Unternehmensmarken, denen der Spagat zwischen Festigkeit und Flexibilität gelingt, sind gerade in Krisenzeiten klar im Vorteil. Lassen Sie mich ein Beispiel aus der Sportwelt bringen. Der Musicalsong You’ll never Walk Alone aus dem Jahr 1945, dessen Liedtext davon handelt, vertrauensvoll in die Zukunft zu blicken, wurde in den 1960er Jahren in diversen Fußballstadien gespielt, um die Fans in Stimmung zu bringen. Als eines Tages an der Anfield Road, Heimstätte des FC Liverpool, die Soundanlage des Stadions versagte, intonierte der Fanblock das Lied selbst. Seit diesem Tag wird vor Spielbeginn in Liverpool das Lied vom Publikum angestimmt. Zur weltweit berühmten Hymne des Vereins wurde der Song aber erst nach der Hillsborough-Zuschauerkatastrophe (Massenpanik bei einem Spiel in Sheffield) im Jahr 1989, bei der 96 Liverpool-Fans ums Leben kamen. Seit damals steht in Anlehnung an den Song der Schriftzug You’ll Never Walk Alone im Vereinswappen des FC Liverpool. YNWA wurde zur in einer schweren Krise geborenen, unverwechselbaren Marke. YNWA und das Unternehmen FC Liverpool stehen seither rund um den Globus für den ewigen Wert der Solidarität. Es ist wohl kein Zufall, dass man dem Klub außergewöhnlich loyale Fans nachsagt.

Wie man diese Ressource ideal an die Zeit adaptiert, zeigte Liverpools Kapitän in den letzten Monaten vor, indem er sich an die Spitze einer Bewegung englischer Fußballstars stellte, die finanzielle Hilfe für die von der Corona-Krise gebeutelten Menschen des Landes organisierte. Dass eine Coverversion des 75 Jahre alten Songs im April 2020 den ersten Platz der britischen Charts eroberte und der FC Liverpool ausgerechnet im Corona-Jahr zum ersten Mal seit 30 Jahren englischer Meister wurde, runden das Bild einer robusten und zugleich agilen Marke ab, die wohl auch in der nächsten Krise bestens aufgestellt sein wird.

Nachhaltiger Handlungsdruck

Was ich beispielhaft an der populären Sportwelt skizziert habe, lässt sich naturgemäß auf alle Branchen übertragen. Interessant finde ich in diesem Zusammenhang die Havas-Studie „Meaningful Brands“ aus dem Jahr 2019: Demnach sagen 75 Prozent der befragten Konsumenten, dass sie von einer Marke eine aktive Beteiligung an Lösungsprozessen von sozialen und ökologischen Problemen sowie eine klare Haltung erwarten. Die klare Haltung steht für die Resilienz-Säule der Robustheit, die Lösungsbeteiligung für jene der agilen Anpassung an besondere Situationen. Die Corona-Krise ist ohne Zweifel eine besondere Situation, die an Markenwerte wie Sicherheit und Durchhaltekraft appelliert. Die ins Haus stehende Klimakrise stellt die nächste Herausforderung dar, die nicht zuletzt die Immobilienwirtschaft als eine der Hauptverursacher von Treibgas-Emissionen in ihren Grundfesten erschüttern wird. Der Handlungsdruck durch die Stakeholder steigt stetig und Immobilienunternehmen, die über ihre Strategien und Marken keine Lösungskompetenz vermitteln, werden diese Krise wohl nicht unbeschadet überstehen. Denn die Klimakrise ist keine, die einfach nur abprallen wird.

Ich bin überzeugt: Wer es in Sachen Nachhaltigkeit allerspätestens jetzt ernst meint, auf die kommenden Herausforderungen mit flexiblen Modellen reagiert und das alles authentisch zu kommunizieren weiß, wird sich jene Resilienz erarbeiten, die es morgen braucht, um auf der Seite der Gewinner zu stehen. Wir evaluieren dieses Thema in unseren laufenden europaweiten Studien und dürfen Ihnen dazu in naher Zukunft die passenden Zahlen und Fakten liefern.

With resilient & branded regards
Ihr Harald Steiner

PS: Ein persönlicher Exkurs

Kennen Sie Viktor Frankl, jenen Wiener Psychiater, der in die Weltgeschichte als Begründer der Logotherapie und Existenzanalyse eingegangen ist? Im Alter von 36 Jahren wurde Frankl ins Ghetto Theresienstadt deportiert. Dreieinhalb Jahre verbrachte er in Konzentrationslagern, in denen sein Vater, seine Mutter, sein Bruder und seine Ehefrau sterben mussten – und kam bei allem Leid zu einer für ihn „erstaunlichen Erkenntnis“: „Manche zerbrechen an Krisen und Umständen, manche wachsen daran. Ich wachse.“ Seine Erfahrungen verarbeitete Frankl in dem 1946 erschienenen und millionenfach verkauften Buch „… trotzdem Ja zum Leben sagen.“ Seine Grundthese: „Wer ein Warum zu leben hat, erträgt fast jedes Wie“. Nach diesem Motto erforschte Frankl den Rest seines insgesamt 92 Jahre währenden und u.a. mit 29 Ehrendoktoraten gewürdigten Lebens, wie Sinnerfüllung auch angesichts schwerer Schicksalsschläge möglich ist und Menschen in die Lage versetzt, in Krisenzeiten seelisch zu heilen. Im Mittelpunkt seiner Logotherapie steht neben der Sinnfrage jene der Resilienz. Wer diesen Begriff in seinen Grundfesten und auf einer zutiefst menschlichen Ebene verstehen möchte, dem darf ich die Lektüre von Viktor Frankls Büchern empfehlen.

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